Geräusche von nebenan
Eine Installation von Andreas Linke in Zusammenarbeit mit dem Waldberg Empelde e.V.
Der Ort
Die Installation von Andreas Linke entsteht am Waldberg Empelde. Der Waldberg Empelde befindet sich vor den Toren Hannovers auf einem renaturierten, begrünten, ehemaligen Kaliberg in Empelde. Vor mehr als dreißig Jahren wurde begonnen diese Rückstandshalde mit Bauschutt und Bodenaushub zu ummanteln. Inzwischen konnte bereits ein großer Teil des Geländes mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt werden, so dass aus dem ehemaligen Salzberg ein Waldberg mit vielfältiger Flora und Fauna geworden ist.
Besucher stoßen dort auf mehrere Schautafeln, die auf den ersten Blick an bekannte Informationstafeln aus Wäldern und Landschaften erinnern. Doch diese sind keine offiziellen Wegweiser, sondern künstlerische Objekte, die sich bewusst an der Formensprache solcher Tafeln orientieren – und sie zugleich verfremden.

Die Idee
Linke knüpft an die Alltagserfahrung an: fast jede:r kennt Schautafeln mit kleinen Dächern, auf zwei oder vier Beinen, meist nur von einer Seite zugänglich. Sie geben Orientierung, erklären Natur oder Geschichte – wirken dabei oft schlicht und handgemacht. Genau an diesem Punkt setzt der Künstler an:
Seine Tafeln sollen erkennbar selbstgebaut sein.
Die Spuren der Arbeit – Schrauben, Stückelungen, sichtbare Konstruktionen – bleiben bewusst sichtbar.
Gerade in diesem „unscheinbaren“ Ausdruck entsteht ein Kontrast: Die rohe Anmutung der Objekte steht den farbintensiven, präzise gemalten Bildern gegenüber, die auf den Tafeln erscheinen.
So entsteht eine doppelte Spannung: zwischen der Schlichtheit des Materials und der Bildwelt, und zwischen der Vertrautheit der Form und der Irritation des künstlerischen Inhalts.


Technisches
Es sind kleine Miniaturen von Eindrücken, die sich fast beiläufig in die Umgebung einschmiegen und stehen solitär.
Größe pro Tafeln: ~30 x 40 cm
Materialien: Kombination aus Palettenholz und Konstruktionsholz, geschliffen und lasiert für ein einheitliches Erscheinungsbild
Schutz: bemalte Flächen mit Bootslack versiegelt, damit sie der Witterung standhalten
Die Tafeln werden so konstruiert, dass sie sowohl für die Dauer der Ausstellung stabil stehen als auch – falls gewünscht – längerfristig erhalten bleiben können. Linke bietet an, selbst für Instandhaltung zu sorgen.
Die Umsetzung
Die Schautafeln entstehen aus robustem Holz, das bewusst nicht perfekt, sondern authentisch handgemacht wirkt. So tritt die Konstruktion in Dialog mit den Bildern, die auf die Tafeln gemalt werden. Diese Gemälde basieren auf Eindrücken, die der Künstler am Waldberg gesammelt hat.


Jede Bildfläche setzt sich aus mehreren Motiven zusammen, die einen piktogrammhaften Charakter haben. Sie beschränken sich jeweils auf wenige, intensive Farben und erinnern in ihrer Gesamtheit an die Seiten eines Comichefts oder an großformatige Gemälde-Collagen.

Anstelle von Leinwand verwendet Linke ausschließlich Plattenmaterialien. Für ihn sind die Bilder Objekte, fast schon Baumaterialien, mit Gewicht und Haptik. Entsprechend haben seine Werke oft auch einen skulpturalen oder installativen Charakter.
Inhaltliche Ausrichtung
In den letzten Jahren hat sich Andreas Linke stärker romantischen und landschaftsbezogenen Motiven zugewandt. Das Projekt „3 Berge“ bietet ihm die Möglichkeit, diesen Weg weiter zu verfolgen und sich intensiver mit Naturdarstellungen auseinanderzusetzen.
Die Tafeln am Waldberg werden so zu Bilderträgern im öffentlichen Raum, die Besucher:innen unerwartet begegnen. Sie sehen vertraute Formen – doch anstelle von nüchternen Erklärungen eröffnen sich farbenfrohe, poetische Bildwelten, die neue Perspektiven auf Landschaft und Wahrnehmung eröffnen.

Kontakt zum Künstler: www.andreaslinke.art
Text der Ansprache zur Vernissage von Prof. Wilfried Köpke
Andreas Linke: Geräusche von nebenan
Die Älteren erinnern sich noch, wie der Berg vor über 30 Jahren aussah. Eine weiße Halde mit einer Straße. 1989 oder 1990 muss es gewesen sein, da hatte Carmen Machado Cruz auf dem hellen Untergrund eine strahlende Madonna installiert. Madonna auf dem Kaliberg. Es wirkte fremd und von der Ferne, der Bundesstraße abgehoben und beinahe bizarr. Das war mein letzter Besuch auf dem Empelder Kaliberg. Der Künstler Andreas Rinke war damals vier Jahre alt. Vergangenen Donnerstag war ich wieder da, zum Gespräch mit dem Künstler Andreas Linke. Er ist jetzt 39. Und auch der Berg hat sich verändert. Er ist zum Waldberg Empelde geworden.
Der dritte Berg des heutigen Gipfeltreffens der Kunst. Und wieder alles anders. Hatte Frank Nordiek seine Dryaden lauschen oder rufen lassen mit einer transparenten aber gut sichtbaren Position. Gaby Taplick mit einer über drei Meter hohen und über sechs Meter breiten Theaterkulisse den Blick auf die Waldidylle versperrt. Die Position von Andreas Linke, der in Brauschweig an der HBK studiert und das Studium als Meisterschüler bei Wolfgang Ellenrieder 2021 beendet hat, wirkt deutlich weniger präsent und ins Auge fallend.
Bilder in der Freiluftgalerie als Piktogrammsuchaktion. Manche offensichtlich, andere versteckt. 21 müssen sie am Ende gesehen haben, wenn sie alle gesehen haben wollen.
Die auf Holz gemalten Bilder in unterschiedlichen Größen referieren zum einen auf Motive des Berges. Zum anderen auf die Form der Piktogramme, wie wir sie alle aus dem Alltag von der Straße über den Bahnhof bis zum Flughafen, der Behörde oder dem Krankenhaus kennen. Piktogramme sind die übriggebliebenen Glaubenstafeln der Aufklärung. Wie Mose auf den Berg ging und zwei Tafeln mit den zehn Geboten als ethischem Profil in Stichworten, moralischer Roadmap und Vertragswerk für die Schar runterkam, die aus Ägypten ins Gelobte Land flohen, so verheißen Piktogramme einen universellen menschlichen Code: Jeder versteht sie gleich welcher Kultur. So der Anspruch. Wie oft aber standen Sie schon im Keller einer Kneipe oder eines Restaurants und wussten nicht sofort die Piktogramme an den Klotüren einzuordnen? Soviel zur Wirklichkeit.
Dieses Modell der Piktogramme mit ihrem universellen Gültigkeitsanspruch nimmt Andreas Linke nun auf und mit der Frage: „Was ist so universell, dass es gerade draußen funktioniert?“ Er hat in diesem Jahr viele Tage draußen verbracht und draußen übernachtet, Witterung aufgenommen, Abstraktionen gesucht. Auch auf dem Waldberg. Und dabei sind ihm die Industriereste aufgefallen, die verrosteten Anlagen. Er hat gespürt wie dünn noch die Mutterbodenschicht über dem Kaliabraum ist, das Naturfremde noch zu erahnen, die Geräusche von nebenan, so der Titel der Arbeit, noch zu hören.
Die Industriebrache hat sich immer wieder ihren Platz in der Arbeit gesucht. Deshalb passen diese Bilder auch so gut hierhin. Sie stören nicht. Beinahe liest der, der deutet, versteht er sie als historische Relikte oder Referenzen. Je verwitterte sie später werden, desto mehr wird man sie als dazugehörig, konsequent, ortsspezifisch wahrnehmen. So sind auch die Motive der Bilder eine Mischung aus Naturverweisen (Tannenpiktogramm), spezifischen Waldbergverweisen (Himmelsrichtungen als Horizontlinien), Zitaten aus anderen Zusammenhängen wie der Schifffahrt.
Die 21 Bilder oder Piktogramme sind sehr konsequent umgesetzt, sauber, wirken präzise. Und zugleich deutungsoffen. Oder anders: Erst im Blick der Betrachtenden wird das Bild fertig, das Piktogramm dechiffriert.
Dafür gilt es den Ort mit dem Bild zusammen zu schauen. Andreas Linkes Anspruch, wenn er ihn denn so explizit und ausschließlich hat und nicht auch das Moment ästhetischen Spiels und künstlerischem Vergnügen dabei ist, „nach universellen Motiven zu suchen“, vollendet sich in der Deutungshoheit der Betrachter:innen.
Die universelle Eindeutigkeit bleibt ein kategorischer Konjunktiv.
Gehen Sie also herum, entdecken sie die Tafeln, sehen, lesen, deuten Sie sie und den Berg. Am Ende werden Sie viel über sich selbst erfahren haben. In der Religionsgeschichte war das häufig die Bestimmung der Berge: ein Ort der Selbstfindung, der Initiation – auch der Versuchung und Katharsis.
Das wurde Ihnen beim Gipfeltreffen der Kunst heute dreimal angeboten. Schön, dass Sie dabei waren. Sie haben drei faszinierende Künstler:innen und ihre Arbeiten kennengelernt und die Region neu erlebt.
Prof. Wilfried Köpke


