Das Ende im Anfang
Eine Installation von Gaby Taplick in Zusammenarbeit mit dem Kunstraum Benthe e.V.
Der Ort
Die Installation befindet sich am Fuß des Benther Bergs, oberhalb einer Obstbaumwiese. Über eine steile unbefestigte Zufahrt erreichen Besucher das Café Waldwinkel, umgeben von hohen Bäumen.

Das Café Waldwinkel ist ein beliebter Treffpunkt für Spaziergänger:innen und Gäste. Zwischen den Bäumen stehen Tische und Stühle des Cafés – ein Ort zum Ausruhen, zum Schauen und zum Durchatmen. Von hier aus öffnet sich der Blick in eine Idylle, der Wald strahlt Ruhe aus und schenkt den Besucher:innen ein Gefühl der Gelassenheit.

Die Idee
Für die Zeit der Ausstellung wird dieser gewohnte Ausblick teilweise verändert. Es entsteht eine Kulisse aus ausrangierten Schrankteilen, die auf dem Hügel errichtet wird.
Die Arbeit erinnert an den Ursprung des Materials: den Baum. Möbel, die bereits verarbeitet, gebraucht und beinahe entsorgt worden wären, kehren in veränderter Form in den Wald zurück.
So verbindet die Installation das scheinbare Ende eines Gegenstandes mit einem neuen Anfang in künstlerischer Gestalt. Sie macht den Kreislauf von Natur und Kultur sichtbar: Werden, Vergehen und Neubeginn.
Besucher:innen sind eingeladen, sich in die Kulisse zu begeben. Dort finden sie Baumstämme, die als Sitzgelegenheiten dienen – Orte, um zu verweilen, Kaffee zu trinken und die Atmosphäre bewusst zu erleben.


Technisches
Größe: ca. 350 cm hoch, 350 cm tief
Breite hinten: ca. 600 cm
Breite vorne: 800–900 cm
Materialien: Schrankbretter, Kanthölzer, Schalungsbretter
Die Konstruktion besteht aus einem Gerüst von Kanthölzern, auf das die Schrankbretter geschraubt werden. Von vorne zeigt sich eine geschlossene Fläche aus Brettern, während auf der Rückseite die tragende Struktur sichtbar bleibt. Dort wird die Konstruktion zusätzlich mit verschraubten Schalungsbrettern in Dreiecksform abgestützt.
Die Umsetzung
Ein Teil der Arbeit entsteht vorab im Atelier. Dort werden Elemente vorbereitet, die anschließend im Waldwinkel wieder aufgebaut werden. Je nach Umfang der Vorarbeiten wird die Umsetzung im Wald etwa zwei Wochen in Anspruch nehmen – jeweils von Montag bis Donnerstag. Während der Café-Öffnungszeiten am Wochenende ruht die Arbeit.
So wächst die Installation Stück für Stück vor Ort – und verwandelt den Hügel im Waldwinkel in eine Bühne, die zeigt, dass im Ende auch immer ein Anfang liegt.

Kontakt zur Künstlerin: http://www.gabytaplick.com/
Aufbau am Benther Berg




Text der Ansprache zur Vernissage von Prof. Wilfried Köpke
Gaby Taplick: Das Ende im Anfang
Der Benther Berg ist vielen hannöverschen Kindern bekannt als nächstgelegenes ernstzunehmendes Rodelgebiet neben dem Rodelhubbel in der Eilenriede. Dann gibt es noch den Kunstraum Benther Berg mit wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, das Café Waldwinkel, Wald-Yoga. Der Benther Berg scheint ein überraschend vielfältiger Ort zwischen Zivilisation und Kultur.
Das Café Waldwinkel ist am Wochenende mit dem Fahrrad rasch oder zu Fuß gemächlich zu erreichen. Und dann gibt es Kaffee und Kuchen oder Zwiebelkuchen. Draußen sitzen in der Sonne oder mit Wärmflasche und Heißgetränk, wenn es herbstlicher wird.
Auf dem kleinen Hügel, an der Wald-Yoga-Station 1 vorbei, der kurze Aufstieg auf den Hügel zu den beiden Tischen. Da hat man dann auf der einen Seite das Café im Blick und schaut auf der anderen Seite in eine deutsche Waldidylle: Eichen, Buchen, Kletterefeu. Lichtes Unterholz. Der Hirsch fehlt noch. Ein kleiner Feldherrnhügel, schöne Blickachse inklusive.
Nun hat Gaby Taplik, sie hat an der Hochschule Hannover Bildende Kunst studiert und war dort Meisterschülerin von Bernhard Garbert, auf diesem Hügel eine wunderbare Kulisse gebaut. Der erste Blick ist umwerfend. Ein sogenannter Boah-Wumms im Sprachduktus des Ex-Kanzlers Olaf Scholz.
Bunt, ästhetisch gestaltet mit Streben, Linien, versetzten Bogenformen, einem in farbigen Holztönen gefügten Holzplattenboden. Stehen sie oben direkt vor der Kulisse, dann merken sie, dass sogar der Schall der Worte verstärkt wird – wie im Theater. Aus der Ferne passen sie sich in die Vertikalstruktur der umgehenden Bäume ein, dieser Eindruc wird sich vermutlich verstärken, wenn das Laub fällt.
Schauen Sie genauer hin, dann entdecken Sie auch bereits nach einer Woche Standdauer, dass sich die Bodenbretter heben, aufquellen. Gehen Sie um die Kulisse rum und schauen auf das Gerüst aus Kanthölzern, dass die Kulissenkonstruktion hält und stabilisiert, dann entdecken Sie Spuren des Vorlebens der Bretter: Löcherreihen, um Schrankfächer zu montieren, Holzimitatfolien auf Sperrholz, Nuten von Bodenbelägen, Spanplatten, Furnier. Gaby Taplicks Arbeitsmaterial sind Bretter gefunden auf dem Sperrmüll, auf Ebay, aus Haushaltsauflösungen. Alles Holz hatte schonmal ein Leben und eine Funktion. „Die durften“, so die Künstlerin im Vorgespräch, „nochmal Prinzessin sein und kommen dann auf die Mülldeponie.“
Das wirkt und klingt auf den ersten Blick, das erste Hören ganz gut. Doch je länger man schaut und sitzt, wenn man den Ort nicht kennt, und noch schneller bei den Menschen aus Benthe und Ronnenberg, die den Ort kennen, wächst ein Unbehagen. Das bunte Teil verdeckt den schönen Waldblick. Und mehr und mehr verkommen die industriell bearbeiteten Hölzer, oft mehr Leim und gepresstes Holzmehl mit Plastikfolie, die Holz imitiert, als gewachsene Baumstruktur, unter Hitze, Kälte, Wind und Regen zu aufgequollenem, verformtem, wertlosem Zivilisationsmüll. Sie sind in der Fertigung auch nicht auf Dauer gestellt. „Wir leben in einer Konsumgesellschaft und werfen weg, was nicht mehr gefällt“, so der Eindruck der Künstlerin.
Und mit diesem Dreck verbaut sie dann auch noch hübsch hässlich, die Bellevue – den schönen Blick vom Hügel in den Wald. „Denn“, so ist sie sich sicher,“ den wird es bald nicht mehr geben“.
Gaby Tablicks Intervention an diesem Platz verführt auf den zweiten Blick nicht mehr zum Wow des ersten Eindrucks, sondern zum Seufzen über die Dimension des Anthropozäns.
„Nach 4,6 Milliarden Jahren trägt ein Zeitalter den Namen des Menschen (griechisch: ἄνϑρωπος). Leider ist das nicht als Auszeichnung zu verstehen. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen hat den Begriff vorgeschlagen als Hinweis darauf, dass erstmals in der Erdgeschichte die Menschen Kultur und Natur, Zivilisation wie Umwelt und Klima so beherrschen, dass es globale Auswirkungen hat vergleichbar mit den letzten großen Eiszeiten. Ökonomische, soziale, ökologische wie politische Prozesse, die kulturelle wie die naturwissenschaftliche Realität sind erstmals in menschlicher Hand. Die Zukunft der Erde hängt vom Menschen ab.“
Und so ist die schöne Idylle, der Blick in den deutschen Laub- oder Mischwald – mit oder ohne Hirsch – gefährdet.
Die schöne Idylle, sie ist zum Mörderstück geworden, um den österreichischen Künstler André Heller zu zitieren:
Misstraue der Idylle
Sie ist ein Mörderstück –
Schlägst du dich auf ihre Seite
Schlägt sie dich zurück!
Mitten im Wald, zwischen den Bäumen, die letzten Lebenstage der Holzbretter- Das Ende im Anfang. Solange es noch einen Anfang gibt.
Prof. Wilfried Köpke


