Gekämmter Putz an der Fassade des Kunsthauses Göttingen weckt die Assoziation von aufgeschichteten Papierbögen
Die vierte Exkursion in diesem Jahr führte den Kunstverein Gehrden nicht zu den lauten, die Medien dominierenden Kunstevents dieses Sommers, sondern in den Süden Niedersachsens zum eher zurückhaltend auftretenden Kunsthaus Göttingen, was sich bei näherer Betrachtung als echte Entdeckung herausstellte: Durch die kompetent geführte Begleitung ist es gelungen, den Mitreisenden die ästhetisch sehr ansprechende Architektur des Kunsthauses sowie die Ausstellungsräume der sorgfältig arrangierten Präsentation der Papier- und Fotoarbeiten in angemessener Ruhe und Kontemplation zu vermitteln.
In seiner Ausstellung „printing futures“ zeigt das Kunsthaus Göttingen als Partnerprojekt parallel zur Documenta fifteen Werke, die sich mit dem Medium Papier auseinandersetzen, sowie journalistische, dokumentarische und inszenierte Fotoarbeiten von Shahidul Alam (Bangladesch), Alper Aydin, Sibel Horada, Necmi Sönmez (Türkei), Theseus Chan (Singapur), Sofia Karim (Großbritannien), Maya Mercer, Jim Dine (USA), Dayanita Singh (Indien), Christoph Heubner und Albert Ostermaier (Deutschland).
Alper Aydın: “The Song of the Earth”, 2022, Kunsthaus Göttingen
Das Kunsthaus Göttingen in der Düstere Straße 7: Wo einst gefärbte Stoffbahnen, die zum Trocknen zwischen den Häusern aufgehängt waren, nur düsteres Licht zulie-ßen, werden in der Straße heute Kunst und Kultur bei hellem Sonnenschein angeboten.
Das Zauberwort „lumbung“ der Documenta fifteen, Ideen im Kollektiv auszutauschen und Kunst gemeinsam zu erschaffen, wirkt ansatzweise auch in die Göttinger Ausstellung hinein: Künstlerische Prozesse partizipativ erfahrbar zu machen, ist auch hier der Wunsch des Kurators, Verlegers und Gründungsdirektors des Kunsthauses Gerhard Steidl. In Zusammenarbeit von lumbung-press und Steidl-Verlag werden die Arbeiten dieser Ausstellung in ein Buchprojekt einfließen und anschließend weltweit vertrieben.
Im Gegensatz zur großen Partner-Ausstellung Documenta in Kassel erlebten die Mitglieder des Kunstvereins Gehrden die Göttinger Ausstellung als wesentlich fundierter, hintergründiger und somit für sie gewinnbringender. Das liegt natürlich vor allem an der Größe und Übersichtlichkeit dieser Ausstellung, an ihren Orientierungsangeboten, aber besonders an der sorgfältigen und stimmigen Präsentation, die auf diesem Kunstausflug gern entdeckt wurde und über die jetzt ebenso gern berichtet wird.
Der Land Art-Künstler Alper Aydın beispielsweise malt mit abwaschbarer Farbe die jeweiligen Ge-wichtsangaben auf die vom Meer zufällig angespülten Steine und Felsbrocken; die Zahlen geben ihnen in der Landschaft eine unverwechselbare Individualität und Einmaligkeit. Die Fotografien der vergänglichen Beschriftungen und Spuren hat der Künstler mehrfach in unterschiedlichen Formaten dokumentiert und hier ausgestellt.
Der aus Bangladesch stammende Fotojournalist Shahidul Alam fragt in seinen Arbeiten nach der Relevanz und Rolle seiner Fotografien und bezieht die Besucher aktiv mit ein, indem er sie auffordert, Fotos zu bewerten und auszuwählen.
In dem gemeinsamen Projekt „YUBA – Ring of fire“ mit dem Dramatiker Albert Ostermaier inszenierte und fotografierte die amerikanische Künstlerin Maya Mercer vor allem einheimische Teenager-Mädchen und einen Jungen mit indigenen Wurzeln. Die Fotografien sind keine direkte „Reportage“, sondern verstehen sich vielmehr als künstlerische Aufzeichnung. Albert Ostermaier hat die Stimmung der Fotografien aufgegriffen und eine Reihe von Gedichten geschrieben und wird vor Ort ein Theaterstück entwickeln, das in öffentlichen Proben durch Lesungen und Aufführungen der Öffentlichkeit präsentiert wird.
Maya Mercer (USA): The Weight of Dust, 2019
Sofia Karim (England): Turbine Bagh, 2020 / Tüten mit humanitären und politischen Botschaften; Hintergrundinformationen